Chris Fritsch - Der rote Faden - FNP - zündwerk

Der rote Faden: Der Feuerkünstler Chris Fritsch

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Folge 104: Feuerwerker Chris Fritsch
Der rote Faden: Der Feuerkünstler

VON KATJA GUSSMANN
Chris Fritsch ist Feuerwerker. Er kann den Rhein in Flammen versetzen, wie andere die Grillkohle. Ihm und seinem ganz besonderen Kunsthandwerk widmen wir kurz vor Silvester Folge 104 unserer Serie „Der rote Faden“, in der wir Menschen vorstellen, die Besonderes in und für Frankfurt leisten.

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Früh übt sich, was ein Feuerwerker werden will. Und wer als Schüler den Schlüssel zum Chemieraum in der Tasche hat, gerät schnell in Versuchung, ein bisschen Feuerwerk zu machen.

Dumm nur, wenn die Explosion auf dem Sportplatz auch anderen auffällt und man von der Schule fliegt. Chris Fritsch grinst verhalten, wenn er von seinen Jugendsünden erzählt. „Empfehlen kann ich das aber keinem“, sagt er und der Blick durch die Retro-Look-Brille wird ein bisschen strenger. Der Chef von „Zündwerk“ in der Daimlerstraße in Frankfurts Osten führt ein festes Team von vier Mitarbeitern an, das von unzähligen zusätzlichen Kräften bei Großevents wie dem Megafeuerwerk, das er zum 100. Geburtstag der Goethe Universität am Poelzig-Bau zündete, verstärkt wird.

Wenn sich Feuersternchen wie Wasserfälle über Häuserkanten ergießen, Lichtfontänen in den dunklen Himmel schießen und bunte Funken Spiralen in die Höhe drehen, perfekt synchron zur Musik choreographiert, dann steht er hinter diesem Schauspiel: Ein Mastermind, das mehr kann als zündeln. „Eigentlich komme ich von der Musik“, sagt der 47-Jährige mit dem modisch gestutzten Bart und den kurzen Locken dann auch zur Erklärung, warum er so gut Klänge in funkelnde Himmelsbilder verwandeln kann.

Silvesterwunsch

In Frankfurt geboren, in Karben aufgewachsen, aber im Gallusviertel bei den Großeltern häufig zu Besuch gewesen, fühlt er sich der Mainmetropole verbunden. Liebend gerne würde Chris Fritsch mal an Silvester hier ein richtig schönes, großes Feuerwerk zu Musik in den Nachthimmel malen. „Dann wäre es am Mainufer auch nicht mehr so gefährlich – die Batterien werden ja jedes Jahr größer“, sagt er über die vielen Privatleute, die mit der Flasche Sekt in der Hand die Feuerwerkskörper zünden und sich der Gefahren nicht immer bewusst sind. „Ich dachte, ich bin im Krieg“, sagt er über sein Erlebnis in einer Silvesternacht am Mainufer. Könnten die Frankfurter stattdessen ihm beim Zaubern zusehen, wäre diese Gefahr gebannt, meint Fritsch, der Experte. Aber statt in seinem Heimatort wird er im kommenden Jahr den Planungen nach an Silvester in Shanghai die Böller in die Luft jagen und vor großer Klangkulisse sein Publikum begeistern.

Technikfimmel

Er selbst war von klein auf vor allem von der Musik fasziniert. Schlagzeug spielt er schon als Fünfjähriger und gewinnt auch Musikwettbewerbe. Zugleich ist kein technisches Gerät vor dem neugierigen Zugriff des Jungen sicher: „Ich habe alles auseinandergenommen, was ich in die Finger bekam“, erzählt er – zum Leidwesen seiner Eltern. Dass sie deswegen kein zweites Kind mehr bekamen, will er so nicht bestätigen. Aber die Technik fasziniert ihn schon: Fischertechnik, Lego und eben Geräte aller Art, die man auseinander schrauben kann. Auf dem Gymnasium gesellt sich zum Technikfimmel die Leidenschaft für Chemie hinzu. Nach seinem Rauswurf absolviert er die Fachoberschule und führt Musik- und Technikaffinität in einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei Radio Diehl zusammen. Aber im Grunde schlägt sein Herz besonders schnell in der Frankfurter Musikszene, die DJ Sven Väth Ende der 80er Jahre mit Techno aufzurollen beginnt.

Experimentelle elektronische Musik ist auch die Welt von Chris Fritsch. „Ich habe an einigen Projekten mitgewirkt – die sind auch alle sehr erfolgreich geworden, aber immer erst dann, wenn ich gerade ausgestiegen war“, sagt er trocken und muss wieder grinsen. Das macht ihn so sympathisch: In leisen Tönen spricht er ebenso von seinen Erfolgen wie Misserfolgen. Manchmal muss man schon ganz genau hinhören, um zu begreifen, dass er gerade etwas ganz Erstaunliches erzählt. Zum Beispiel, dass ihn ein Redakteur einer Hifi-Fachzeitschrift bei Radio-Diehl entdeckt und zum Schreiben bringt. Ungeahnte Folgen eines Verkaufsgesprächs, nachdem sich Fritsch als Redakteur an einem Schreibtisch wiederfindet. Davon erzählt der Feuerwerker annähernd so sprühend, wie andere, wenn sie beiläufig bemerken, dass sie gestern bei Rewe Brötchen geholt haben.

Seine Kontakte in die Musikszene wiederum führen dazu, dass er Sven Väth persönlich kennenlernt und bei dessen Plattenlabel einsteigt. Für das Sublabel „Recycle or die“ von Väths „Eye Q Records“ macht er – nunmehr als Journalist geschult – Pressearbeit und Produktmanagement. Eine aufregende Zeit war das für ihn. Die Cover wurden von Künstlern gestaltet. So findet er sich irgendwann im Atelier von Walter Dahn wieder – Beuys-Schüler und den Jungen Wilden zugehörig. „Mir war das gar nicht klar“, sagt Fritsch, der den Künstler höchst naiv fragt, ob er eins der Fotos an der Wand haben könne, er habe ja schließlich noch mehr davon hängen. So bekommt er ein signiertes Foto aus einer Serie des Künstlers, der sich wohl über so viel Ahnungslosigkeit freut und mit leisem Erstaunen beobachtet haben dürfte, wie Fritsch das Bild nimmt, zusammenrollt und einsteckt.

Fritsch schlittert in die Technoszene – und wieder hinaus, weil er nicht verstehen kann, dass man als Frankfurter die Berliner Szene zu meiden hat. Er tut es nicht und landet immer wieder in der Stadt, die gerade die Love Parade erfindet. Und hier erlebt Chris Fritsch die Initiation zum Feuerwerker. „Damals war ja alles möglich“, sagt er über die Jahre nach der Maueröffnung. Eine Art Post-Hippie-Gefühl erfasst ihn und viele andere junge Menschen, die in der drogengeschwängerten Luft eines Festivals zur Love Parade aufbrechen. Fritsch ist unter ihnen und erlebt sein erstes musikuntermaltes Feuerwerk. „Es war am 3. Juli 1993. Das ist für mich das Gründungsdatum von ,Zündwerk’“, sagt er und erzählt, wie am Potsdamer Platz, damals Baustelle, ein fulminantes Feuerwerk gezündet wurde. Und wie sich die Augen der Menschen mit Glückstränen füllten. Es hatten sich junge Leute aus Australien, Japan, den USA eingefunden, um gemeinsam ihre Freude an der Musik zu feiern. „Und das alles ohne Internet“, sagt Fritsch, dem doch eine zarte Freude anzumerken ist, wenn er von diesem hochemotionalen Moment erzählt, in dem er weiß: „Ich will Feuerwerk machen.“

Nun weiß er auch, warum es sich gelohnt hat, als Schüler zu zündeln – und wie er seine Liebe zur Musik mit seinem Technikfaible verbinden kann. Gleich in den nächsten Tagen beginnt er, ein Konzept für seine Firma zu erarbeiten. Zu Hilfe kommt ihm dabei, dass er im Jahr zuvor bei einem Job in der Eventabteilung einer Firma mitbekam, wie ein Indoorfeuerwerk organisiert wird. Als Sven Väth seine Veranstaltungsagentur Cocoon gründet – erst später betreibt er auch einen Club unter diesem Namen –, steigt Fritsch als Pyrotechniker ein. „Ich habe zum Beispiel für DJs das Opening mit Feuerwerk gemacht“, sagt er. Die erste größere Show zeigt er auf dem Jazzfestival von Montreux 1994, auf dem es eine Nacht des „Eye Q-Labels“ gibt. Fritsch organisiert alles – vom Bus bis zum Feuerwerk. Auf verschiedenen Raves macht er die Pyrotechnik. „Grottenschlecht, muss ich heute leider sagen. Ich kam ja nicht aus der Veranstaltungstechnik.“ Damals macht er mit seiner Freundin ohne groß nachzudenken sein Feuerwerk. Heute ist er sich seiner Verantwortung viel stärker bewusst. „Ich habe auch relativ spät erst meinen Pyrotechnikerschein gemacht“, räumt er ein.

Explosionsgefahr

Es ist eben eine Zeit, in der alles möglich scheint. Fritsch erzählt selbst von dieser aufregenden Lebensphase in ruhigem Tonfall. Er betont immer wieder die Gefahren, die sein Kunsthandwerk – so nennt er es – birgt. Wie viele Menschenleben es schon gekostet hat, wenn ein Feuerwerkskörper im falschen Moment explodierte oder Fabriken abbrannten. Erst im vergangenen Jahr musste er selbst erleben, dass sein kleines Lager Feuer fing. Niemand kam zu Schaden, aber sein benachbartes Büro musste für viele Monate umziehen. Das Großlager befindet sich geschützt in einem Bunker aus dem zweiten Weltkrieg in Rheinland-Pfalz, wo auf 1000 Quadratmetern Feuerwerkskörper lagern. Fritsch schreibt Sicherheit groß angesichts von Unglücken.

Umso erstaunlicher, dass ein Pyrotechnikerschein keine hohe Eintrittshürde in das Geschäft mit dem Feuer darstellt. Ein eintägiger Lehrgang und die Teilnahme an einer bestimmten Zahl Feuerwerke und Großfeuerwerke bestimmen die Zulassung und damit auch die Erlaubnis, die nötigen Chemikalien und Zünder zu erwerben. „Wenn sich bei uns jemand bewirbt, schauen wir ganz genau hin, warum er Pyrotechniker werden will, und ob der Mensch verantwortungsbewusst ist“, sagt Fritsch, dem schon einige schwarze Schafe begegnet sind, denen er die Ausbildung verweigerte.

Computerbilder

Auf seine Mitarbeiter muss er sich zu hundert Prozent verlassen können. „Ein Feuerwerk zur Musik ist zu 20 Prozent Kreativität und zu 80 Prozent Technik“, erklärt er. Die Logistik im Vorfeld bedarf sorgfältigster Planung. Die technischen Voraussetzungen für seine Kunst wurden erst in den 90er Jahren geschaffen. Erste Versuche der Synchronisierung von Musik und Zündung der Effekte unternahm er noch mit einem Nagelbrett, auf dem die Zündschnüre für die Effekte angeordnet waren und manuell ausgelöst wurden. Bis er als einer der ersten in Europa ein digitales Zündsystem in den USA für umgerechnet stolze 40 000 Euro erwarb und seitdem Großaufträge umsetzen kann. Heute komponiert Fritsch ein Großfeuerwerk am Computer. Dann schließt er sich nächtelang ein, hört die Musik und platziert dazu die passenden Effekte – 3300 hat er davon in seiner Datenbank. Teils lässt er Feuerwerkseffekte nach eigenen Vorstellungen umbauen. Das ist eine Wissenschaft für sich, erklärt er. Denn die Rezepturen für Sternchenregen in Gold oder Blau sind fast so alt wie die Feuerwerkskunst selbst, deren Wiege um 1500 herum in China oder Europa stand. Darüber, wer’s erfunden hat, streitet sich die Fachwelt noch.

Firmenkrise

Seine Lieferanten sitzen in Spanien, Italien und China. Drei bis vier Mal im Jahr besucht er sie, um sich von der Qualität der Feuerwerkskörper zu überzeugen. Denn nichts ist schlimmer als Bomben, die nicht zünden. „Wir haben ja keine Möglichkeit zu proben. Das Feuerwerk ist einmalig“, sagt der Mann, der gute Nerven haben muss. Denn wenn Rohrkrepierer die Freude verderben, ist für Fritsch nicht nur der Abend hin, sondern sein Geschäft gefährdet.

Wie sich das anfühlt, musste er Anfang der 2000er Jahre erleben. Nicht, weil seine Effekte nicht zündeten, sondern weil die New Economy-Blase zerplatzte. Als Startups ihr Geld für Teamfindungsprozesse auf Golfplätzen verpulverten, war „Zündwerk“ häufig mit Feuerwerksuntermalung mit von der Partie. Und blieb später auf den Rechnungen sitzen. Als dann noch die Terroranschläge vom 11. September dafür sorgte, dass in Frankfurt das lang geplante Feuerwerk zur Euroeinführung Ende 2001 abgesagt wurde – es hätte auf den Hochhäusern Frankfurts stattfinden sollen – bleibt Fritsch auf Feuerwerksware für hunderttausende Euro sitzen. Und zuletzt fühlte er sich auch noch schlecht beraten von seinem Steuerberater.

Auslandserfahrung

Mühsam hat sich das Unternehmen von den Rückschlägen erholt. Fritsch bedauert, dass in Deutschland Großfeuerwerke keine Tradition haben und Kommunen die Kosten dafür scheuen. Im Zweifel wird die kleine Lösung gewählt, oder, wie Fritsch sie nennt, die „Kirmesfeuerwerker“, die weniger kunstvoll die Böller in die Luft schießen. Er weiß, dass er für seine Kunst ins Ausland expandieren muss, denn von „Rhein in Flammen“ allein kann er nicht leben. Kuwait, Dubai sind Optionen – aber erste Erfahrungen lehrten ihn auch, dass er in diesen Märkten eine Menge „Provisionen“ einkalkulieren muss, die in Deutschland nicht üblich sind.

Die Anforderungen an ihn als Geschäftsmann gehen weit über das Zündeln hinaus.

Wie er sich davon entspannt? Er zündet seinen Grill auf der Dachterrasse an und legt ein Steak auf. Viel Zeit hat er dafür in der Regel nicht, denn im Sommer herrscht Feuerwerks-Hochsaison. „Wir arbeiten, wenn andere feiern“, sagt er, drückt sich damit erfolgreich um die Frage nach einer Frau in seinem Leben herum und weiß das wenige Privatleben damit zu erklären.

Es reicht, wenn die Kohle auf dem Grill glüht und die Funken in den Himmel sprühen. Mehr braucht der Feuerkünstler nach Feierabend nicht.

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